Lilith lief durch die Straßen.
Sie konnte ihn nicht sehen, nicht hören - nicht einmal riechen, aber sie wusste um seine Anwesenheit.
Kain war dicht hinter ihr.
Eine der vielen Gaben ihres Meister war es, sich völlig verborgen halten zu können.
Sie schaute in die Gesichter der Menschen um sich herum und ihr Duft berauschte sie.
Sie war durstig. Doch sie musste sich kontrollieren.
"Dein Durst macht dich schwach.", hauchte Kain aus dem Nichts. "Lerne ihn zu kontrollieren. Nur wenn du ihn kontrollierst verhinderst du, dass er dich kontrolliert."
Sie hörte auf zu atmen. Es widerstrebte ihr, aber so war es einfacher.
Sie bogen um eine Ecke und gingen auf eine Taverne zu.
Lilith schob die Tür auf und sofort wurde sie Mittelpunkt aller männlichen Blicke.
Kein Wunder.
Schon als Mensch war sie mehr als attraktiv gewesen und jetzt als Vampir überschritt Lilith selbst die Götterbildnisse in ihrer Perfektion.
Lilith setzte sich an den Tresen und der Schankwirt beäugte sie abschätzig.
"Was willst du hier?", fragte er in einem ungehobelten Ton.
"Ich möchte nur etwas Gesellschaft und vielleicht ein Zimmer für die Nacht.", antwortete sie und ihre Stimme übertraf sicher alles, was dieser armselige Mensch jemals zuvor gehört hatte.
"Wir haben kein Zimmer frei.", der Schankwirt war sehr unfreundlich.
"Oh wehe mir. Muss eine Dame nun allein durch die Nacht wandern?"
"Darf ich der Dame helfen?"
Der Mann, der Lilith fragte, sah gut aus. Gut gekleidet und sicherlich nicht arm.
"Eine Dame sollte zu so später Stunde nicht mehr allein umherwandern."
Lächerlich!
Erstens war Lilith nicht allein und zweitens gab es nichts gefährlicheres da draußen als sie und meinen Begleiter.
Aber sie hatte eine Rolle zu spielen.
"Nur zu gerne, werter Herr. Es ist spät und mich ängstigt die Nacht draußen."
Der Mann schlug seine Faust auf den Tresen. In ihr langen einige Münzen.
"Sag, Wirt! Hast du kein Obdach für eine Dame. Sehe den Schnee der fällt und wie blass ihre Haut schon ist. Hast du denn kein Herz und Anstand?"
Der Wirt beäugte die Münzen und danach Lilith.
"Herz und Anstand zahl nicht die Zeche!", brummte er.
"Ich habe Geld, mein Herr.", antwortete Lilith und imitierte einen hilflosen Tonfall."Keine gemeine Zechprällerin bin ich. Gut entlohnen möcht ich euch für ein Obdach."
Der Mann neben ihr lächelte.
"Seht! Eure Sorgen sind umsonst. Nun gebt ihr ein Zimmer."
Der Wirt nahm Lilith einige Münzen ab und übergab ihr einen Schlüssel.
Sie wand sich dem Mann neben ihr zu.
"Ich danke euch, werter Herr."
Der Mann verneigte sich.
"Einer Dame nicht zu helfen, ist ein Frevel. Benito nannten meine Eltern mich. Wie ist der euch zugedachte Name?"
Lilith lächelte verführerisch.
"Lilith ist mein Name, edler Benito."
"Ein Name ungleich eurer Schönheit.", schwärmte Benito.
Lilith kicherte. Ganz wie eine Dame.
"Ihr schmeichelt mir, Herr. So viel habt ihr schon für mich getan doch darf ich euch um ein weiteres bitten?"
"Bittet mich um was immer ihr wollt, holde Dame."
Lilith lächelte in sich hinein.
Er war ihr verfallen.
Wie sollte es auch anders sein.
"Meine Kutsche steht unweit der Taverne in einer Gasse. Mein Knecht ist müd und alt. Erschöpft von der Reise."
Benitos Augen funkelten.
Zweifelslos freute er sich. Ein Knecht bedeutete Wohlstand.
"Geht es um euer Gepäck?"
"Ja, der Herr hat recht."
"Und würdet ihr ganze Berge in euren Taschen tragen, würd ich sie euch schleppen! Zeigt mir eure Kutsche."
Lilith hielt die Hand vor den Mund und lächelte.
"Dank sei euch. So kommt, ich zeige euch meine Kutsche.
Sie verließen die Taverne und gingen um die Ecke in eine dunkle Gasse.
"Gleich dahinten ist es.", sagte Lilith.
Benito starrte in die Dunkelheit und Schneeflocken blieben in seinem lockigen schwarzem Haar hängen.
"Wehe, ich sehe eure Kutsche nicht. Wo ist sie? Hat man sie samt des Knechts gestohlen? Welch böse Welt."
Lilith machte eine schwingende Handbewegung und Benito wurde durch eine unsichtbare Kraft an die Wand geschleudert.
In ihrem Gesicht war nichts mehr von der gespielten Zurückhaltung zu sehen. Es war nun das Gesicht eines Raubtieres vor seiner Beute.
"Welch ein Hexenzauber ..." Benitos Stimme zitterte.
Lilith sprang auf ihn zu, als er sich aufrichtete, packte ihn an der Kehle und drückte ihn gegen eine Wand.
"Ehre sei dir, hilfsbereiter Benito, du darfst eine Göttin ernähren."
Sie schlug ihre Zähne in seine Kehle.
Sie warf den leblosen, blutleeren Körper zur Seite und wischte sich den Mund ab.
"Sein Blut war rein.", sagte sie und leckte sich über die Lippen.
"In der Tat. Eine gute Wahl hast du getroffen, Lilith.", bestätigte ihr Kain.
"Ich begehre mehr.", gestand sie.
Kain, welcher nun sichtbar war, hob eine Hand.
"Bald. Meine Kinder müssen sich zügeln können. Verborgenheit und Geheimhaltung sind die Waffen, welche wir gegen die Welt führen. Sie werden den ersten Streich ausüben."
Lilith fauchte durch zusammengebissenen Zähnen.
"Auch mir missfällt es, mein Kind.", gestand Kain und seine Stimme bebte vor Zorn. "Einst werden wir über diese Welt herrschen. Doch bis dahin bleiben wir verborgen. Ich begehe einen Fehler nicht zweimal."
Lilith nickte und warf sich auf die Knie.
"Vergebt meine Ungeduld, Meister!"
Kain lächelte.
"Nichts gibt es zu vergeben. Lass und gehen, Lilith. Dieser Ort langweilt mich."
Lilith erhob sich und nickte.
"Wie ihr wünscht, Meister."
Und sie gingen.